4. Juli 2012

Höchste Zeit, mal wieder einen Rekord zu vermelden. Mit "Seveso ist überall" steht erstmals ein Artikel online, bei dem die linke Spalte länger ist als die rechte. Zu verdanken ist dies einer üppigen Literaturliste und insgesamt 34 Fußnoten. Auch hier gab es mal Vorgaben, die anders klangen: Minimalistische Annotation lautete der ursprüngliche Wunsch des Projektleiters. Eigentlich sollte der wissenschaftliche Charakter des Projekts in erster Linie durch die Nennung ausgewählter Literaturtitel markiert werden, so wie dies bei vielen Lexikonartikeln gängige Praxis ist. Unsere Beiträge sind gemessen an den Standards wissenschaftlicher Aufsätze sehr kurz und dadurch inhaltlich sehr dicht, teilweise bis hart an die Schmerzgrenze des Fachwissenschaftlers. Da droht, wenn man die Standards des Aufsatzgenres einfach überträgt, eine Fußnote nach jedem Satz.

Anfangs habe ich deshalb in den gelieferten Texten auch fleißig nach überflüssigen Fußnoten gesucht. Inzwischen bin ich milder geworden: Wenn ein Autor seine Thesen sauber belegen möchte, dann soll er (oder sie) das auch tun. Letztlich unterstreicht es ja nur den wissenschaftlichen Anspruch des Projekts. Und von der Fußnote als Fetisch sind wir glücklicherweise doch noch ein Stückchen entfernt.

Bei "Seveso ist überall" gibt es allerdings noch einen besonderen Grund für das Fußnotengewitter. Aus den Recherchen des Verfassers ist nämlich nicht nur dieser Beitrag entstanden, sondern auch ein Aufsatz, der im nächsten Band der Zeitschrift "Archiv für Sozialgeschichte" erscheint. Und warum auch nicht? Viele der Themen, die auf dieser Website diskutiert werden, sind von der historischen Forschung nur ansatzweise aufgearbeitet. Umweltgeschichte ist noch eine junge Disziplin voller Forschungslücken – wobei Lücke eine missverständliche Formulierung ist, suggeriert sie doch, dass es rund um die Lücken immerhin einen soliden Kenntnisstand gäbe. Das heißt aber immerhin, dass sich hier für Nachwuchsforscher fantastische Möglichkeiten bieten – eine Situation, auf die ich Studierende immer wieder mit der mit eigenen Penetranz hinweise. Und, wie das in der Universität halt so ist: Gelegentlich hört dann halt doch mal einer zu.

 

10. Mai 2012

In dieser Woche sendete SWR 2 ein ausführliches Studiogespräch, in dem ich mit zwei weiteren Experten über "braune Ökologen" diskutieren durfte.[1] Es war ein anregendes Gespräch über ein wichtiges Thema, denn welchen umweltbewegten Menschen dürfte es kalt lassen, dass Rechtsextreme sich auf einschlägigen Demonstrationen oder im Ökolandbau tummeln. Und doch ging der Fachhistoriker mit einem ernüchterten Gefühl aus der Diskussion: Der Mythos der "grünen Nazis" lebt anscheinend immer noch, trotz jahrzehntelanger Forschung, die die einschlägigen Topoi gründlich auseinander genommen hat. Und das bei Leuten, die die Literatur eigentlich kennen sollte. Seufz.

Spontan kam mir die Idee, eine neue Rubrik in die digitalen Erinnerungsorte einzuführen: "hartlebige Legenden". Das Dumme ist nur, dass derlei dem Grundgedanken der Erinnerungsorte entgegenlaufen würde. Hier geht es schließlich um Erinnerungsstränge, so wie sie existieren, mit all ihren Irrtümern und Verzerrungen. Mythen-Bashing ist nicht die Kernaufgabe der Erinnerungsorte; sie versuchen es subtiler, mit historischer Aufklärung über die realen Zusammenhänge.

Damit das deutlicher wird, habe ich heute den Eintrag zum Reichsnaturschutzgesetz um einen Punkt ergänzt, der die Legende der "Grünen Nazis" explizit thematisiert. Wer den Rest des Beitrags liest, ahnt allerdings, dass die Legende wohl weiterleben wird. Sie erfüllt halt soziale Funktionen: Sie liefert Öko-Kritikern eine Steilvorlage – und andere können sich auf diesem Wege bequem von ihrer Väter-Generation in Naturschutz und Landschaftspflege abgrenzen. Eine Erfahrung, die dem Zeithistoriker leider nur zu bekannt vorkommt: Wenn Geschichte zum Argument wird, steht die Fachwissenschaft mit ihren Fußnoten nun einmal regelmäßig auf verlorenem Posten. Und dann fantasiert der Historiker am Ende darüber, dass er jetzt eigentlich gerne Strafarbeiten verteilen würde. Nach der Methode: "Ihr schreibt jetzt hundertmal: 'Die grünen Nazis gab es nicht, gab es nicht, gab es nicht...'"

 

30. April 2012

Mit diesem Blog-Eintrag geht der Erinnerungsort "Englischer Garten München" online, und das ist ein guter Anlass, einmal ein urdeutsches Thema anzusprechen: den Regionalismus. So langsam könnte nämlich ein kritischer Leser (und wir hoffen sehr, dass unsere Leser kritisch sind!) einen gewissen Hang zum Bajuwarischen wittern: Englischer Garten, Nationalpark Bayerischer Wald, Wackersdorf, Zugspitze, dazu auch noch dieser hochmütige Beitrag über den original bayerischen Biergarten – der Freistaat kann sich gewiss nicht über mangelnde Beachtung beklagen.

Natürlich könnte sich der Chronist jetzt billig herausreden: kein waschechter Bayer, eigentlich gar kein Bayer, sondern vielmehr gebürtiger Westfale, den es erst weit jenseits der dreißig in das Land der begrenzten Unmöglichkeiten verschlug. Aber sind nicht gerade die Zugereisten oft jene, die sich durch besonders eifrige Imitation lokaler Gepflogenheiten zu integrieren suchen? Andererseits wäre es auch ein wenig seltsam, in einem solchen Projekt krampfhaft auf geographische Balance zu achten. Eine solide Verankerung in der eigenen regionalen Umwelt ist für einen ökologisch bewegten Menschen ja durchaus kein Makel.

Das Problem ist vielleicht eher, dass der Regionalismus allzu leicht im Klischee endet. Sturmflut an der Nordseeküste, Heidelandschaften in der norddeutschen Tiefebene (gleich zweimal bei Worpswede und der Lüneburger Heide), der romantische Rhein – das wirkt ein wenig wie Generalinventur im Gemütshaushalt des deutschen Michel. Und wo bei manchen Regionen die Betulichkeit grüßt, wehren sich andere gegen ein Katastrophen-Image. Als wir einmal in größeren Kreis die Liste der Erinnerungsorte diskutierten, monierte eine gebürtige Sächsin, dass die DDR nur mit Orten der Verschmutzung vorkäme. Das ließ sich mit dem Grünen Band und der Ost-Berliner Umweltbibliothek ein wenig kompensieren – aber Bitterfeld und die Wismut sind weiterhin auf unserer Liste.

Vielleicht wäre es aber auch zuviel verlangt, dass ein nationalhistorisches Projekt den Regionen Genüge tut. Alle hier aufgeführten Erinnerungsorte sollen schließlich eine überregionale Signifikanz besitzen; da sind Ereignisse von geographisch begrenzter Ausstrahlung qua Definition außen vor. Außerdem weiß der Projektleiter aus eigener Erfahrung, dass die Berücksichtigung regionaler Vielfalt wiederum ganz eigene Tücken hat. Vor acht Jahren brachte er ein kleines Buch heraus, dass anhand von acht Fallstudien eine Umweltgeschichte Nordrhein-Westfalens nach 1945 zu skizzieren suchte – und auch das war dann im Endeffekt wiederum hoffnungslos lückenhaft. Es erinnert ein wenig ans Mikroskopieren: Die enorme Vergrößerung führt zu immer neuen Welten im Kleinen, bis man irgendwann bei der Dorflinde ankommt.

Das Problem ließe sich also prima auf einer allgemeinen Ebene reflektieren, etwa in einem Beitrag über den Erinnerungsort Heimat. Aber dafür muss der erst einmal bei der Abstimmung ordentlich abschneiden.

Und falls Sie es mit den Bayern so ganz und gar nicht leiden können: Die zur Abstimmung stehenden Erinnerungsorte Bußwallfahrt zur Mutter Gottes und Leonardi-Segnung haben beide einen bajuwarischen Einschlag.

 

12. April 2012

Es gibt einen Rekord zu vermelden: Mit diesem Blog-Eintrag geht zugleich der längste Text zu einem Erinnerungsort online: Sebastian Kneipp. Dahinter steckt zunächst eine besonders gut informierte Autorin, die sich mit Kneipp im Rahmen ihrer Magisterarbeit beschäftigt hat. Aber es ist auch das Resultat einer schleichenden Expansion der Textlängen im Laufe dieses Projekts. Ganz am Anfang hatten wir noch an betont konzise Texte gedacht – man schaue auf den ersten Erinnerungsort, der online ging, das Waldsterben.

Tja, die ideale Länge. Unsere Texte sind gemessen an den Konventionen der Forschung eigentlich verdammt kurz: Auch Kneipp schafft es jetzt allenfalls auf die Länge eines kurzen Zeitschriftenaufsatzes. Andererseits wollten wir die Website ja gerade nicht aus "Buch im Internet" behandeln, sondern die spezifischen Möglichkeiten des Mediums nutzen. Und ein Drang zur Kürze hat zweifellos etwas Heilsames. Niemandem ist mit langatmigen Ausführungen geholfen, dass man Dinge so und auch anders sehen könnte.

Ein wenig Angst treibt uns wohl auch vor dem ungeduldigen Internet-Leser, der lange Texte mal so eben durchscrollt. Aber vielleicht unterschätzen wir ja unsere Leser? Die Digitalen Erinnerungsorte sind zweifellos ein Projekt für Menschen, die gerne auch etwas mehr lesen – einen Preis für spektakuläres Design oder außergewöhnliche digitale Effekte werden wir ganz gewiss nie bekommen. Aber wo zieht man da die Grenze?

Fürs Erste einmal hier: Länger als bei Kneipp soll es nun wirklich nicht mehr werden. Aber das wird vielleicht nicht das letzte Wort bleiben.

 

6. April 2012

Vielleicht sollte man am Beginn eines solchen Blogs eines klarstellen: Heute ist nicht die "Stunde Null" der digitalen Erinnerungsorte – und das nicht nur, weil Historiker wissen, wie dubios solche Etiketten sind. Diese Internet-Präsenz ist in den vergangenen Monaten gewachsen, und es war das ganz normale Chaos des Anfangs: wechselnde Design-Entwürfe und Formatvorgaben, ständig neue Rubriken und Kampf um zahllose Details wie etwa darum, wie viele Fußnoten es denn sein dürfen (ja, Forscher können sich um sowas streiten!). Inzwischen hat sich unser Konzept aber soweit gefestigt, dass ein solcher Blog nunmehr eine sinnvolle Ergänzung zu sein scheint. Es soll hier ja nicht um jedes Komma gehen, auch mit Danksagungen wird bewusst sparsam verfahren, denn Lob unterliegt wie alles Irdische einer Inflation. Hier geht es um die Gesamtentwicklung des Projekts – und um die Kopfschmerzen, die man als Projektleiter dabei so hat.

In diesem Sinne sei hier zunächst der aktuelle Stand des Projekts dokumentiert. Heute umfasst die Website insgesamt 28 Texte über Erinnerungsorte in acht Kapiteln: Vormoderne Umwelten, Verehrte Natur, Verschmutzte Natur, Geschützte Natur, Lebensweisen, Aufbrüche, Ökologische Zeiten, Entgrenzungen. Außerdem Informationen zur Methodik, insbesondere in Form der Fragen an die Erinnerungsorte.