Die SAG/SDAG Wismut
Kapitelübersicht - Verschmutzte Natur - Die SAG/SDAG Wismut
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Wege der Erinnerung
Verwandte ThemenTschernobyl, Bitterfeld, Die Ost-Berliner Umweltbibliothek
LiteraturRainer Karlsch, Uran für Moskau. Die Wismut – eine populäre Geschichte. Berlin 2007.
Rudolf Boch/Rainer Karlsch (Hg.), Uranbergbau im Kalten Krieg. Die Wismut im sowjetischen Atomkomplex. 2 Bde. Berlin 2011.
Fußnoten[1] Michael Beleites, Altlast Wismut. Ausnahmezustand, Umweltkatastrophe und das Sanierungsproblem im deutschen Uranbergbau. Frankfurt 1992.
[4] Rudolf Boch/Rainer Karlsch, Die Geschichte des Uranbergbaus der Wismut. Forschungsstand und neue Erkenntnisse, in: Dies.(Hg.), Uranbergbau im Kalten Krieg. Die Wismut im sowjetischen Atomkomplex. Bd. 1: Studien. Berlin 2011, S. 9-32, hier S. 17.
[5] Hier nach Rainer Karlsch, Uran für Moskau. Die Wismut – eine populäre Geschichte. Berlin 2007.
[6] Otfried Pustejovsky, Stalins Bombe und die "Hölle von Joachimsthal" : Uranbergbau und Zwangsarbeit in der Tschechoslowakei nach 1945. Berlin/Münster 2009.
[7] B. Grosche et.al., Lung cancer risk among German male uranium miners. A cohort study, 1946–1998, in: British Journal of Cancer 95 (2006), S. 1280-1287.
[8] Vgl. Monika Micheel, Alltagsweltliche Konstruktionen von Kulturlandschaft, in: Raumforschung und Raumordnung 70 (2012), S. 107-117, hier S. 112, 114.
BildnachweisSchmirchauer Höhe, Ronneburg; Quelle: Wikimedia Commons. |
Die "Wismut" war mit insgesamt über 500.000 Beschäftigten das größte Uranbergbauunternehmen der Welt, aber sie war auch weit mehr als das: Sie war und ist bis heute ein Mythos. Zahlreiche Geschichten und Legenden ranken sich vor allem um die Frühphase, die so genannten "wilden Jahre" der 1947 gegründeten Sowjetischen Staatlichen Aktiengesellschaft, die in der DDR als "Staat im Staate" galt. Popularisiert wurde dieses Bild eines außergewöhnlichen Unternehmens, das seinen eigenen Regeln folgte, durch Bücher und Filme wie Werner Bräunigs "Rummelplatz" oder Konrad Wolfs "Sonnensucher" (1958), die beide in der DDR verboten waren.
1. Die Entstehung des Unternehmens
Die Gründung der Sowjetischen Aktiengesellschaft Wismut 1947 ist im Kontext des beginnenden Kalten Krieges zu sehen. Für ihr primär militärisch motiviertes Atomprogramm benötigte die Sowjetunion Uran als Rohstoff, und sowjetische Experten begannen schon Anfang 1945 mit der Suche nach Uranvorräten in ihrem Machtbereich. Fündig wurden sie in der späteren DDR, in der Tschechoslowakei, in Polen, Bulgarien und Ungarn, wobei die Lagerstätten in der SBZ die weitaus bedeutendsten waren. Bis 1966 lieferte die Wismut 84.666 t Uranerz, die CSSR 37.957 t, Ungarn 3.922 t und Bulgarien 4.071 t.[3] Die Lieferungen der Wismut hatten daher bis Mitte der sechziger Jahre eine enorme strategische Bedeutung für die UdSSR. Nicht zutreffend ist aber eine häufig kolportierte Legende, wonach die Sowjetunion allein des Uranerzes wegen Sachsen und Thüringen für die SBZ reklamierte.[4] Der Anfang des Abbaus fand dann auch unter sowjetischer Regie und quasi-militärischer Geheimhaltung statt, wodurch sich auch der offensichtliche Tarnname "Wismut" erklärt: Die Uransuche und -förderung wurde als Wismut- und Kobaltförderung getarnt.
2. Die Entwicklung des Unternehmens
Die Geschichte der Wismut von 1947 bis 1990 lässt sich in vier Phasen einteilen.[5] Auf die "wilden" Anfangsjahre, in denen auf Mensch und Natur nur wenig Rücksicht genommen wurde, folgte mit der Umwandlung in eine sowjetisch-deutsche Aktiengesellschaft 1954 (als Reaktion auf den Volksaufstand vom 17. Juni 1953) eine Übergangsphase bis Anfang der sechziger Jahre, in der sich der Betrieb nach und nach normalisierte. Eine stabile Phase, die "besten Jahre", schlossen sich bis Ende der siebziger Jahre an. Danach wurde die Existenz der Wismut mehr und mehr in Frage gestellt, da die Sowjetunion immer weniger auf ihre Lieferungen angewiesen war und die Erzvorräte in Sachsen und Thüringen nur mit immer höherem Aufwand abzubauen waren. Schon vor der Friedlichen Revolution von 1989 drängte daher die sowjetische Seite auf ein Ende der Uranförderung, was im Zuge der deutschen Vereinigung Ende 1990 schneller als erwartet Realität wurde. Die 1991 neu gegründete Wismut GmbH besteht noch heute und widmet sich der Sanierung und Rekultivierung der Bergbaugebiete.
3. Strahlenschutz
Die Emission radioaktiver Stoffe war keineswegs die einzige Form der Umweltverschmutzung, die von der Wismut ausging, aber sie zieht bis heute die größte Aufmerksamkeit auf sich. Der Strahlenschutz wurde in den Anfangsjahren nicht ernst genommen, obwohl die krebserregende Wirkung von Radioaktivität bereits bekannt war. Der Strahlenschutz der Beschäftigten begann erst in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre. Eine personendosimetrische Überwachung fand bis 1991 nicht statt, so dass quantitative Aussagen über konkrete Belastungen mit großer Unsicherheit behaftet sind. Insgesamt dürften die Belastungen in der Anfangszeit sehr hoch und später hoch gewesen sein. Die Strahlenbelastung war kein ausschließliches Problem der Anfangszeit. Erst ab Mitte der siebziger Jahre kam es nur noch vereinzelt zu Grenzwertüberschreitungen. Das Bundesamt für Strahlenschutz kam in einer Untersuchung von 59.000 Uranbergarbeitern der Wismut zu dem Ergebnis, dass bei ihnen das Risiko, an Lungenkrebs zu sterben, gegenüber der Normalbevölkerung im Durchschnitt um 58,8 % erhöht war.[7]
4. Die oppositionelle Umweltbewegung
Eine öffentliche Diskussion über die Gefahren des Uranbergbaus für Mensch und Natur gab es in der DDR bis in die achtziger Jahre nicht. Dafür kursierten viele Gerüchte, z. B. über strahlende Abraumhalden im Erzgebirge. Oppositionelle Umweltgruppen griffen diese Gerüchte auf und recherchierten auf eigene Faust. Ihre Ergebnisse publizierten sie 1987/88 in Untergrundschriften und in den westdeutschen Medien, wo allerdings die Strahlengefahr mit teilweise abstrusen Behauptungen aufgebauscht wurde. Nun verschlechterte sich das Image der Wismut und der Rat des Bezirkes Karl-Marx-Stadt veröffentlichte 1988 eine Informationsschrift über die Strahlenbelastung mit verharmlosender Tendenz. Die restriktive Informationspolitik der Behörden (hier wie in anderen Fällen, z. B. nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl) dürfte zur Legitimationskrise des Regimes nicht unerheblich beigetragen haben.
5. Die Diskussion in den neunziger Jahren
Die zu DDR-Zeiten unter der Decke gehaltene Debatte brach am Beginn der neunziger Jahre umso stärker hervor. In manchen Presseberichten wurde der Eindruck erweckt, weite Teile Sachsens und Thüringens seien radioaktiv verseucht und es drohten wahre Krebs-Epidemien. In Wahrheit konzentrieren sich die problematischen Altlasten auf einige wenige Orte, mit deren Sanierung sich die 1991 gegründete Wismut GmbH beschäftigt. Der Aufwand dafür geht in die Milliarden. Zu DDR-Zeiten wurden für die Sanierung keine Rücklagen gebildet, und die Kosten werden ausschließlich vom Bundeshaushalt getragen. Die Tätigkeit der "neuen" Wismut wurde anfangs von Umweltschützern mit großer Skepsis betrachtet, da einige personelle Kontinuitäten zur DDR-Zeit existierten. Mittlerweile wird ihre Arbeit aber durchaus anerkannt. Fast 1,5 Mio. Besucher besichtigten die im Zuge der Sanierungsarbeiten entstandene "Neue Landschaft Ronneburg" im Rahmen der Bundesgartenschau 2007. Dennoch war die Sanierung damit nicht abgeschlossen. Vor allem die Wasserbehandlung wird noch geraume Zeit in Anspruch nehmen. Die neu gestaltete Kulturlandschaft in Ronneburg stieß bei den Bewohnern auf ein überwiegend positives Echo, obwohl im Zuge der Umgestaltung die charakteristischen Spitzkegelhalden abgetragen worden waren.[8]
{accordion}Kommentare::Kommentar von Jeffrey Michel:
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