Die Laufenburger Stromschnellen
Kapitelübersicht - Geschützte Natur - Die Laufenburger Stromschnellen
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Wege der Erinnerung
Verwandte ThemenHeimat, Das Naturdenkmal, Der romantische Rhein, Die Wutachschlucht, Das Windrad
LiteraturDiethart Kerbs, Jürgen Reulecke (Hrsg.), Handbuch der deutschen Reformbewegungen 1880-1933. Wuppertal 1990.
Friedemann Schmoll, Erinnerungen an die Natur. Die Geschichte des Naturschutzes im deutschen Kaiserreich. Frankfurt a. M. 2004.
Ulrich Linse, „Der Raub des Rheingoldes". Das Wasserkraftwerk Laufenburg, in: Ders. u.a. (Hrsg.), Von der Bittschrift zur Platzbesetzung. Konflikte um technische Großprojekte. Laufenburg, Walchensee, Whyl, Wackersdorf. Berlin/Bonn 1988, S. 11-62.
Bayerische Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege (Hrsg.), Wasserkraft – mit oder gegen die Natur? (= Laufener Seminarbeiträge 3/94). Laufen/Salzbach 1994.Gisela Dischner, Ursprünge der Rheinromantik in England. Frankfurt am Main, 1972.
Fußnoten[1] Alexander Trautweiler, Die wirtschaftliche Bedeutung der projektierten Wasserkraftanlage bei Laufenburg, Straßburg 1904, 25f.
BildnachweisDer Rhein bei Laufenburg. Gemälde von Gustav Schönleber. |
Dass gesellschaftliche Konflikte um technisch-industrielle Großprojekte kein Spezifikum unseres modernen Umweltzeitalters sind, sondern bereits in der Kaiserzeit vorzufinden waren, beweist der kontroverse Bau des Wasserkraftwerks Laufenburg am Oberrhein, das zwischen 1891 und 1914 realisiert wurde. Die im Volksmund bezeichneten "Laufen" waren gewaltige Stromschnellen, die sich zwischen dem Austritt des Rheins aus dem Bodensee und der oberrheinischen Tiefebene unterhalb Basels ausgebildet hatten. Über Jahrhunderte hinweg bildeten die Laufenburger Stromschnellen die wirtschaftliche Grundlage der örtlichen Bevölkerung: So war neben der Schifffahrt und Flößerei der Fischfang, insbesondere der Lachsfang, die zentrale Einnahmequelle der Stadt.[1]
1. Vorgeschichte
Laufenburg und seine Stromschnellen waren seit jeher ein untrennbares Paar. Die "Laufen" waren lebendige Stadtgeschichte – und das im ganz wörtlichen Sinne: In der Mitte des Flussbetts, nahe der Laufenburger Brücke, lag der "Laufenstein", der bei extrem niedrigen Wasserstand sichtbar wurde. Als dies 1857/58 der Fall war, fand man unter anderem die Jahreszahlen 1672, 1692, 1714, 1750 und 1848 eingemeißelt; der Laufenstein war also ein generationsübergreifender Erinnerungskalender der Stadt. Während das Fischereirecht der "Rheingenossenschaft" das "feste Zentrum der Laufenburger Ökonomie"[2] bildete, nahmen in den 1880er Jahren die Pläne zur Konstruktion eines groß angelegten Wasserkraftwerks erste Konturen an: 1886 hatte der Ingenieur Alexander Trautweiler erste Konstruktionspläne für das Großkraftwerk erstellt und fünf Jahre später zur Konzessionsbewerbung an die Regierung in Baden eingereicht. Trautweiler lag mit seinen Konstruktionen ganz im Trend der Zeit: Während in den 1860er und 70er Jahren kleinere Wasserkraftwerke errichtet worden waren, fand um 1890 in Deutschland und in der Schweiz der Durchbruch der hydrotechnischen Großtechnologie statt. Dieser Durchbruch war eine Folge technischer Entwicklungen, die erstmals eine Übertragung elektrischer Energie über größere Entfernungen ermöglichten und so dezentrale Standorte wie Laufen in das Netz einbinden konnten.
2. Das Bündnis von Technik und Großkapital
1904 beendete der Laufenburger Ingenieur Alexander Trautweiler einen Vortrag zum geplanten Großkraftwerk wie folgt: "wenn das Großkapital seine Fahne am Laufen unten aufpflanzt, so möge keiner den Festmorgen, mit dem für Laufenburg ein neues Zeitalter anbricht, verschlafen, keiner auch sich grollend abwenden [...]."[3] In diesem Zitat spiegelt sich der um die Jahrhundertwende aufkommende Schulterschluss von Technik und Privatkapital wider, der auch im Projekt Laufenburg zum Ausdruck kam. Die geplanten Wasserkraftwerke am Oberrhein läuteten eine neue Zeit der hydroelektrischen Erschließung des Rheins ein: Mit den geplanten Kraftwerken nahm die heimische Energiegewinnung völlig neue Dimensionen an, die gleichsam finanziert werden mussten. Die unter starker Beteiligung der AEG und Dresdner Bank gegründete deutsch-schweizerische Kraftwerk Laufenburg AG musste ein Grundkapital von 18 Millionen Franken aufbringen; insgesamt sollte der Bau aller fünf geplanten oberrheinischen Kraftwerke rund 74 Millionen Mark kosten. Obschon derartige Großabnehmer für die Finanzierung eines solchen Kraftwerks unverzichtbar waren, ließ das Laufenburg-Projekt eine neue spekulative Stoßrichtung erkennen: Waren vormals Kraftwerke errichtet worden, weil Abnehmer für den produzierten Strom vorhanden waren, wurde nun mit potentiellen Kunden, die angelockt werden mussten, spekuliert – die produzierte Kraft musste, so Trautweiler, "zu Markte" getragen werden.
3. Heimatschutz - Kampf um die ästhetische Landschaft Laufenburgs
Anfang des 20. Jahrhunderts verstand sich die Heimatschutz-Bewegung als entschiedener Gegner des rein materiell ausgerichteten industriellen Fortschritts. Ernst Rudorff, Professor für Musikgeschichte in Berlin, veröffentlichte 1901 eine Aufsatzsammlung unter dem Titel "Heimatschutz", in dem zentrale Anliegen dieser Bewegung geäußert wurden. So sah Rudorff im kapitalistischen Industriestaat der wilhelminischen Zeit nicht nur eine Bedrohung der heimischen Natur, sondern auch des deutschen Volkstums, der deutschen "Volksseele". Dem Heimatschutz ging es also neben dem Erhalt der Natur als solcher insbesondere um die Bewahrung einer ästhetischen Landschaft. In Laufenburg prallte das romantisch-ideelle Naturbild der Heimatschützer auf das zweckorientierte Denken der Industriellen und Techniker, die in den Laufen ein gewinnbringendes Industriepotential fanden, das es auszunutzen galt.
4. Bund Heimatschutz - Protest und Niederlage
Es wundert einen kaum, dass der Heimatschützer Rudorff sogleich an den Badischen Schwarzwaldverein appellierte, gegen die Baupläne des Wasserkraftwerks zu protestieren. Nach erfolglosen Protestversuchen ansässiger Vereinsmitglieder, die sich an das badische Innenministerium und gar an den Großherzog selbst richteten, erklärte Rudorff die Rettung der Laufenburger Stromschnellen zur ersten zentralen Aufgabe des 1904 gegründeten "Bund Heimatschutz". Rudorff fand in dem Nationalökonom Karl Johannes Fuchs seinen wichtigsten Mitstreiter, der diesem Protest eine wissenschaftlich-ökonomische Fundierung geben sollte. Fuchs war es auch, der die Fachgruppe "Schutz der landschaftlichen Natur einschließlich der Ruinen" gründete und der den Versuch startete, die heimatschützerische Protestbewegung mit einer wirtschaftlichen zu verbinden. Dies scheiterte jedoch und somit beschränkte sich die Protestbasis vor allem auf das Bildungsbürgertum. Als das Bauvorhaben nicht mehr zu stoppen war, kämpfte Fuchs ab 1905 für Alternativ-Projekte, die das laufende Bauprojekt ersetzen sollten. Die badische Regierung sollte unter Einbezug der öffentlichen Meinung - u.a. in Form von Petitionen seitens hochrangiger Intellektueller und kritischer Zeitungsartikel - unter Druck gesetzt werden. Fuchs' Versuch, Heimatschutz und Ökonomie (Fischerei, Flößerei) miteinander in Einklang zu bringen, blieb jedoch erfolglos: Am 30. August 1906 wurde die endgültige Genehmigungsurkunde für das Kraftwerk Laufenburg ausgestellt. Die "Rettung der Laufen" erfolgte lediglich visuell, nämlich in einem romantischen Ölgemälde von Gustav Schönleber 1908.
5. Laufenburg - ein Pionier der hydroelektrischen Energiegewinnung?
Der Bau des Laufenburger Kraftwerks zwischen 1909 und 1914 war ein architektonisches Wagnis, denn dieses Laufwasserkraftwerk war das erste, das quer zum Fluss gebaut wurde. Damit avancierte Laufenburg zu einem einflussreichen Pionierprojekt hydroelektrischer Energiegewinnung. Doch dem nicht genug: Mit einer Leistung von 40 Megawatt (MW) und einer Jahresproduktion von 310 Millionen Kilowattstunden (kWh) war es das damals leistungsstärkste Wasserkraftwerk in ganz Europa. Laufenburg konnte nur durch die zwei leistungsstärksten Kraftwerke in Amerika am Niagara bei Buffalo und bei Massena am Lorenzstrom übertroffen werden. Der Ausdruck "amerikanische Ausmaße" bringt es auf den Punkt.
6. "Weiße Kohle"
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts galt Wasserkraft neben Kohle als der Weg Energie zu produzieren. Wasserkraft als damaliger, in Europa bedeutender Energielieferant, wurde mit dem geflügelten Wort "Weiße Kohle" umschrieben. Heute wird diese Metapher vermehrt für die neue Kraftwerkstechnologie CCS verwendet, bei der das entstandene Kohlenstoffdioxid nicht in die Atmosphäre ausgestoßen, sondern unterirdisch in Lagern gespeichert wird. Die "Weiße Kohle" kann somit als eine sich wandelnde Metapher bezeichnet werden.
7. Laufenburg - ein Treppenwitz der Geschichte?
Das Kraftwerk Laufenburg, dessen Bau zu einer Protestwelle seitens der Heimatschützer um 1900 führte, ist heute Teil der "Energiedienst Holding AG", die Wasserkraft als erneuerbare Energiequelle nutzt und sich dem Naturschutz verschreibt. Manifestiert sich in Laufenburg ein "gewandelter Erinnerungsort"? Sahen Heimatschützer um 1900 dieses Kraftwerk noch als Inbegriff zerstörerischer Profitgier der Industriellen, definiert sich das Kraftwerk heute durch den Naturschutz, genauer durch die Nutzung erneuerbarer Energie. War um die Jahrhundertwende noch die zu schützende Heimat Auslöser des Protests, so ist heute die zu schützende Umwelt - im ökologischen Sinn - das identitätsstiftende Merkmal dieser Region. Der Erinnerungsort Laufenburger Stromschnellen ist ein Beispiel dafür, wie sich die Konnotation des Heimatschutzes vom Ästhetischen hin zum Ökologischen verschoben hat. Vielleicht hat der Verlauf der Geschichte nicht exakt das Anliegen der Heimatschützer eingelöst, zumal das Landschaftsbild durch den Bau unwiderruflich zerstört wurde; dennoch scheint die ökologische Zielsetzung des heutigen Kraftwerks zumindest die Forderung nach Naturschutz postum zu erfüllen - ein hinkender Treppenwitz der Geschichte also.
8. Wasserkraft - ein Für und Wider?
Während die Atomenergie spätestens seit Tschernobyl mit einem erheblichen Gefahren- und Risikopotential verbunden wird, scheint ein solches Potential in Hinblick auf die Wasserkraft zumeist weniger präsent zu sein. Doch verursachen beispielsweise Dammbrüche und Überschwemmungen erhebliche Sachschäden und bergen große Gefahren: Seit der Fertigstellung der Wasserkraftwerke am Oberrhein in den siebziger Jahren konnte ein häufigeres und verschärftes Auftreten von Hochwassern am Rhein zwischen Mainz und Düsseldorf verzeichnet werden (1983, 1988, 1990, 1993 und 1995). Freilich steht diese Problematik in einem größeren Gesamtzusammenhang, dem technischen Eingriff in die Flusssysteme. Dazu gehören die Versteinerung der Sohle und der Ufer, die Begradigung von Flüssen und Bächen und das Abschneiden von Räumen, die aufkommendes Hochwasser kompensieren (sog. Retentionsräume), die Versiegelung des Bodens sowie das Trockenlegen von Mooren und Wiesen, die als Wasserspeicher fungieren. In unmittelbarer Form wirkt sich die hydroelektrische Nutzung auf die Dynamik des Flusses durch Aufstauung des Wassers aus, wodurch die Erosion und die Entwicklung des Flussbettes (Morphologie) zum Erliegen kommen. Nicht zuletzt hat die Stauung des Flusses Konsequenzen für Flora und Fauna: Der Sauerstoffgehalt im Wasser sinkt, Arten, die auf das ursprüngliche Flussbiotop angewiesen sind, verschwinden und Fischbestände nehmen bei ihrer Wanderung zuweilen großen Schaden. Während die Atomenergie unmittelbar mit einem kritischen öffentlichen Diskurs verbunden ist, scheint es eine breite Diskussion über das Für und Wider der Wasserkraft außerhalb von Fachtagungen nur in Ansätzen zu geben.
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Verantwortlich für diesen Erinnerungsort: Christoffer Leber Online seit 2012
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