Die Drushba-Pipeline
Kapitelübersicht - Entgrenzungen - Die Drushba-Pipeline
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Wege der Erinnerung
Verwandte Themen
LiteraturDavid G. Victor, Amy M. Jaffe (Hrsg.), Natural Gas and Geopolitics. From 1970 to 2040. New York 2006.
Jonathan Stern, Gas Pipeline Co-operation between political adversaries. Examples from Europe. Report Submission to Korea Foundation. 2005.
Joachim Radkau (Hrsg.), Technik in Deutschland vom 18. Jahrhundert bis heute. Frankfurt am Main/ New York 2008.
Fußnoten[1] Vgl. Victor, M. Nadeja; Victor, David G.: Bypassing Ukraine, S. 129.
[4] Dietmar Student: Frostige Oase. Innenansichten der größten Gasfirma der Welt. Gasprom ist so ziemlich das einzige, das in Russlands Krisenwirtschaft richtig funktioniert, Manager Magazin 6/1999 http://www.manager-magazin.de/magazin /artikel/0,2828,23192,00html, abgerufen am 20.09.2010.
[5] http://www.vng.de/VNG-Internet/de/ zz_Dokumente/Beitraege_mediumgas/ Beitrag_Karlsch.pdf, aufgerufen am 21.09.2010.
[6] http://www.vng.de/VNG-Internet/ de/zz_Dokumente/Beitraege_mediumgas/ Beitrag_Karlsch.pdf.
[7] http://www.vng.de/VNG-Internet/ de/zz_Dokumente/Beitraege_mediumgas/ Beitrag_Karlsch.pdf, aufgerufen am 21.09.2010.
[8] http://www.vng.de/VNG-Internet/ de/zz_Dokumente/Beitraege_mediumgas/ Beitrag_50_Jahre_VNG.pdf, aufgerufen am 21.09.2010.
[9] http://www.eon-ruhrgas.com/ cps/rde/xchg/SID-AF480DA0- 16FA5A03/er-corporate/hs.xsl/589.htm, zuletzt abgrufen am 23.09.2010.
[10] http://www.vng.de/VNG-Internet/ de/zz_Dokumente/Beitraege_mediumgas/ Beitrag_Karlsch.pdf, zuletzt abgerufen am 21.09.2010.
BildnachweisBriefmarke der Deutschen Post der DDR von 1978. |
"Heutzutage sind Erdgas und Elektrizität aus unserem Alltag sowie aus der Wirtschaft nicht mehr wegzudenken. Sie sind somit essentiell für unsere Gesellschaft" ist auf der Homepage von Gazprom Germania zu erfahren. Als sicherer, umweltverträglicher und effizienter Energieträger wird Erdgas von der russischen OAO Gazprom wie von der E.ON Ruhrgas AG gepriesen. Die zur Versorgung der westdeutschen Öffentlichkeit mit Erdgas notwendigen Prestigeprojekte Drushbatrasse und Erdgastrasse, die dem politischen Apparat der DDR in den 1970er und 1980er Jahren als Inbegriff der deutsch-sowjetischen Freundschaft galten, fanden Eingang in politische Debatten über Energieversorgung und die damit verbundenen Abhängigkeiten. Wirtschaftspolitik und kulturelles Gedächtnis kreieren im Wechselspiel neue ökologische und energiehistorische Erinnerungsorte, an deren Konstruktion Energiekonzerne sowie die mit der Energiepolitik beauftragten Regierungsinstitutionen beteiligt waren. Anders als die vielen negativ besetzten Erinnerungsorte der DDR wie der Berliner Mauer oder den Haftanstalten für politische Gefangene steht der Bau der Erdgastrasse trotz seiner ideologischen Einbettung nicht zuletzt für die wenigen industriellen Errungenschaften des Arbeiter- und Bauernstaates.
1. Gasvorkommen
Die deutsch-russische Erdgaspartnerschaft nahm mit der Entdeckung des Urengoi Gasfeldes Ende 1966 ihren Ausgang. Sowohl die damalige Deutsche Demokratische Republik (DDR) als auch die Bundesrepublik Deutschland (BRD) schlossen mit der Sowjetunion Langzeitverträge über Erdgaslieferungen.[1] Zentral geplant baute die Sowjetunion ihre Erdgaswirtschaft von einem regionalen zu einem globalen Wirtschaftszweig aus, was ihr seit den 1970er Jahren Devisen und Investitionen westlicher Konzerne einbrachte. Insbesondere nach dem Ölschock 1973 war in den westeuropäischen Industrieländern, aber auch in der DDR ein vermehrtes Interesse an der Diversifizierung der Ressourcen und Energiequellen zu verzeichnen. Eine langfristige Folge dieses Strategiewechsels in der Energieversorgung war ein anhaltender Wechsel von Öl zu Gas auf dem Wärmemarkt und in der Elektrizitätswirtschaft. Gleichzeitig ließen die neu entdeckten sibirischen Gasfelder eine Ergänzung der Energieerzeugung mit Kohle durch Gasimporte zu. In den vergangenen 40 Jahren äußerte sich in Deutschland diese Prioritätenverschiebung vor allem in einer vermehrten Hinwendung zu russischem Gas, das Importe aus Norwegen und den Niederlanden zunehmend ergänzte. Russisches Erdgas stellte für die deutsche Industrie eine langfristige Alternative in der Rohstoffversorgung dar und deckt heute 36 Prozent des Erdgasaufkommens in Deutschland.[2] Nach dem Zerfall der Sowjetunion 1991 avancierte der russische Staatskonzern Gazprom zu einem der weltweit größten Gaskonzerne und einem herausragenden Handelspartner für westeuropäische und deutsche Unternehmen, mit dem gemeinsam immer neue Investitionen wie der Bau der Ostsee-Pipeline getätigt werden.
2. Energiepolitik als Symbolpolitik
Der deutsche Erdgashandel wird heute von der Gazprom Germania GmbH, der Essener E.ON Ruhrgas AG, der ostdeutschen VNG-Verbundnetzgas AG, der BASF und der Erdgas- und Erdöl GmbH (BEB) dominiert. Diese Unternehmen sind mit Anteilseignungen und der Gründung von Tochter- und Gemeinschaftsunternehmen auf das engste miteinander verknüpft und voneinander abhängig. Das deutsche Energiewirtschaftsgesetz aus dem Jahr 2005, das zur Umsetzung der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 geschaffen wurde und laut Bundesregierung dem Ziel der Intensivierung des Wettbewerbs galt, hat weniger zu einer angestrebten Entflechtung der Erdgaswirtschaft als zu einer Zerklüftung geführt. In der Praxis teilen jedoch weiterhin wenige Kernproduzenten, Händler und Infrastrukturbetreiber das Geschäft unter sich auf und stehen darüber hinaus in engem Dialog mit Vertretern der Politik. Die Repräsentanten dieser energiewirtschaftlichen Peers kennen sich in Ost wie West seit langem und bekräftigen die nunmehr vier Jahrzehnte andauernde Kooperation zukunftsgewiss bei allerlei Jubiläen. Diese Festakte finden stets im Schulterschluss mit der deutschen und russischen Politelite statt. Durch sie werden die Rahmenbedingungen für den deutsch-russischen Erdgashandel geschaffen. Beim Staatsbesuch Vladimir Putins 2001 beispielsweise übergab der Vorstandsvorsitzende der Ruhrgas AG Dr. Burckhard Bergmann dem russischen Präsidenten einen historischen Gaszähler, der laut Ruhrgas als ein "Symbol für die rund 400 Milliarden Kubikmeter Erdgas, die seit 1973 nach Deutschland geliefert wurden"[3] gelten sollte. Derart symbolische Vorgänge und Rituale vermitteln nicht nur Wissen über bestimmte Ereignisse, denen im Rahmen von Jubiläen gedacht wird. Sie dienen ferner der gegenseitigen Versicherung von Unterstützung zwischen Politik und Wirtschaft und fungieren als Legitimationsstrategien. Die Deutung der Vergangenheit geht dabei einher mit dem Entwurf von Leitbildern für die Zukunft und zielt außerdem auf die öffentliche Billigung aktueller und zukünftiger Investitionstätigkeiten ab.
3. Das Erdgas-Röhren-Geschäft
Von Energieunternehmen und Bundesregierung wird das historische Ereignis des so genannten "Erdgas-Röhren-Geschäfts" als Auftakt einer Tradition stilisiert, die vor allem der Skepsis und den Ängsten der Wirtschaftsberichterstatter entgegengesetzt wird. Grundlage des Geschäftes ist ein 1970 geschlossener Vertrag über Erdgaslieferungen zwischen der Ruhrgas AG und der sowjetischen Staatshandelsfirma Sojuzneft- Export. "Gazprom scheint so schwer fassbar wie der Stoff, den es produziert, so mysteriös wie eine russische Matrjoschka-Puppe, die mit jeder Enthüllung nicht kleiner, sondern größer und unförmiger wird"[4], hatte das Manager Magazin 1999 geschrieben. "Wo hört Gazprom auf, wo fängt der Staat an?", fragte das Blatt rhetorisch. Diese Frage nimmt vor dem Hintergrund der schwierigen Beziehungen Russlands mit seinen Nachbarländern wie der Ukraine, die seit dem Zerfall der Sowjetunion auch Pipeline-Transitländer sind, auf Aspekte der Versorgungssicherheit genauso Bezug wie auf Wunschbilder einer demokratisch und marktwirtschaftlich organisierten Wirtschaft. Das Misstrauen gegen Russland bzw. die Sowjetunion als totalitäre Großmacht mit Expansionsdrang ist seit der Oktoberrevolution 1917 und mehr noch seit Ende des Zweiten Weltkrieges tief im deutschen und europäischen Gedächtnis verankert. Dem Staatskonzern Gazprom wird dabei vor allem die Rolle eines politisch zweifelhaften Wirtschaftspartners zugedacht, wie sich an der Kontroverse um Gerhard Schröders Position als Aufsichtsratsvorsitzenden im Nord Stream Konsortium zeigt, an dem Gazprom mit 51 Prozent die meisten Anteile hält.
4. Im Bau
1968 wurde das erste Regierungsabkommen zwischen der DDR und der UdSSR geschlossen, in dem auch der Import von Erdgas festgeschrieben war. 1974 unterzeichneten die Delegierten der ehemaligen RGW-Mitgliedstaaten auf der 28. Tagung des RGW in Sofia das "Generalabkommen über die Zusammenarbeit bei der Erschließung der Erdgaslagerstätte Orenburg". Als Gegenleistung für Erdgaslieferungen verpflichteten sich die Staaten zur Übernahme von Bauabschnitten der Erdgas-Pipeline "Sojus" in der damaligen Sowjetunion. Von 1974-1978 übernahm die DDR die Konstruktion der so genannten Drushbatrasse, einem 550 km langen Abschnitts der Pipeline in der Ukraine. Im Zuge des Urengoi-Abkommens 1982 und des Jamburg-Abkommens 1984 verpflichtete sich die DDR erneut zur Konstruktion von Pipeline-Abschnitten in der Ukraine, Weißrussland, im Ural und Kasachstan unter dem Label "Erdgastrasse". Für den Bau der Trasse rekrutierte die DDR insgesamt ca. 15.000 überwiegend männliche Personen aus diversen volkseigenen Betrieben und Kombinaten, die als Haupt- und Nebenauftragnehmer den Pipelinebau betrieben. Neben der Konstruktion der Pipeline und technischer Anlagen, übernahm der Staat den Ausbau der Infrastruktur in Form von Wohnkomplexen, Schulen etc. für die zukünftigen sowjetischen Betreiber. Die verbauten Materialien sowie technisches Gerät, das zum Einsatz kam, wurden in Westdeutschland eingekauft, wie z.B. die Rohre der Mannesmann AG, die ebenfalls beim parallel stattfindenden Erdgas-Röhren-Geschäft der Bundesrepublik im Einsatz waren.[5]
5. Ost-West-Verhältnisse
Der umstrittene Konstruktionsbeginn der Nord Stream Pipeline durch die Ostsee 2005 hat eine öffentliche Debatte über das Wesen der deutschen Energiewirtschaft bzw. deutsch-russischen Erdgaspartnerschaft losgetreten. Die anhaltende Auseinandersetzung rund um den Bau der Erdgasleitung verdeutlicht, wie eng energiewirtschaftliche Belange mit der Erinnerung an die deutsche und europäische Nachkriegsgeschichte verknüpft sind und mit den daraus resultierenden politischen Selbstbildern Deutschlands. Im Bestreben nach ökonomischer, politischer und umweltpolitischer Legitimation bzw. Delegitimation der Nord Stream Pipieline bedienen sich die involvierten Akteure eines Symbolhaushalts, der sich vor allem aus dem nationalen Gedächtnis Deutschlands speist. Die am Energiediskurs beteiligten Gruppen aus Energiewirtschaft und -politik sowie den Medien haben sich dabei weitestgehend auf ein Set relevanter Ereignisse der politischen und ökonomischen Vergangenheit verständigt. Die Deutung dieser Ereignisse bleibt jedoch im Aushandlungsprozess begriffen und wird den jeweiligen ökonomischen, wirtschafts- und umweltpolitischen Interessen und Ängsten unterworfen.
6. Der Trassenbau in den Medien
Im Zentrum der medialen Kampagne der DDR stand das Ideal des proletarischen Internationalismus bei dem Völkerfreundschaft und Planerfüllung als zentrale Handlungsmaximen galten. Die "Trasse" wie das Projekt kurz genannt wurde, galt auch als Ort der kommunistischen Erziehung. Über die Medien wurden die Trassenkampagnen in die DDR-Gesellschaft hineingetragen. Der Trassenbau wurde durch die Zeitung "Junge Welt" der FDJ begleitet und die DEFA-Studios drehten vier Dokumentationen zum Bauprojekt. Am Trassenbau lassen sich aber nicht nur Mechanismen sozialistischer Agitation exemplifizieren. Das wachsende Interesse an der deutsch-sowjetischen Erdgaskooperation seit Beginn der Konstruktion der Nord Stream Pipeline richtete schließlich auch in den alten Bundesländern bzw. den überregionalen Medien zunehmend die Aufmerksamkeit auf den Trassenbau. Beispielsweise strahlte der Deutschlandfunk 2009 das dreistündige Feature "das blaue Wunder bei Fünfzig Minus" über den Bau der Erdgastrasse aus. Im Mittelpunkt stand das Leben zehntausender Deutscher die in der ehemaligen Sowjetunion im Einsatz waren. Im selben Jahr wurde der Trassenbau bzw. der erste Oktober 1975, an dem die erste Schweißnaht der Drushbatrasse gezogen wurde als charakteristisches Ereignis der deutschen Nachkriegsgeschichte in das von der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), des Rundfunk Berlin Brandenburg (RBB) und der Tagesschau koproduzierte Multimediaprojekt "60xDeutschland" aufgenommen. Und "Die Zeit" vom 15. April 2010 fügte den Trassenbau der DDR endgültig in eine energiehistorische Ereigniskette mit der Nord Stream Pipeline ein.
7. Kohlendioxid-Emissionen
Auf der Ebene energiewirtschaftlicher, bilateraler Verträge herrscht eine gegenseitige Abhängigkeit zwischen der Bundesrepublik und den großen Energiekonzernen, die vor diesem Hintergrund einen handlungspolitischen wie auch diskursiven Konsens gefunden haben. Aber eine Imagepolitik, die allein auf geopolitische Legitimation und Versorgungssicherheit ausgerichtet ist, reicht in Zeiten gesamteuropäischer und globaler Klimaschutzbestrebungen nicht aus. Die Konzerne sehen sich gezwungen auf umweltpolitische Vorgaben zu reagieren, um sich weiterer Unterstützung durch die Regierung bzw. zukünftiger Regierungen zu versichern. In diesem Zusammenhang verweisen sie auf die im Vergleich zu anderen fossilen Brennstoffen geringen CO²-Emmissionen des Erdgases. Der technische Fortschritt der letzten Jahrzehnte, der neue Pipeline-Investitionen erst ermöglichte, rücke nun auch „Belange der Menschen und der Umwelt"[9] in den Fokus der unternehmerischen Tätigkeiten. So habe Erdgas „als wichtiger Energieträger nichts von seiner Bedeutung eingebüßt"[10] und der Klimaschutz wird zunehmend zu einer wirtschaftlichen Ressource, an der Bundesregierung und Energiekonzerne, gleichermaßen Interesse zeigen.
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