2. Februar 2014

Wer als Deutscher in Großbritannien lebt, kann derzeit ein Déjà-vu-Erlebnis haben. Am 18. September dieses Jahres werden die Schotten eine Volksabstimmung über ihre Unabhängigkeit abhalten, und deshalb ist das Für und Wider der Sezession ein Thema der öffentlichen Debatte. Ich habe etwas gebraucht, bis ich den Film erkannte, denn die Parallelen waren schon etwas unerwartet. Es ist nämlich so: Die Sache erinnert immer mehr an die deutsche Wiedervereinigung.

Nur läuft der Film in umgekehrter Richtung. Es geht nicht um Vereinigung, sondern um Trennung. Und während die Deutschen nach der umjubelten Wiedervereinigung erst mal einen ordentlichen Kater auslebten, machen das die Schotten schon mal vorher. Es ist wie verhext: Je näher das Datum rückt, desto lauter werden die Warnungen vor den Risiken. Und da kann man schon mal ins Grübeln kommen über das Nationale im 21. Jahrhundert (und damit ist das auch ein Thema für einen Erinnerungsorte-Blog).

Am vergangenen Mittwoch reiste der Gouverneur der Bank von England Mark Carney nach Edinburgh und klärte die Schotten über die Risiken einer gemeinsamen Währung auf. Es ist nämlich so, dass die Schotten auch im Falle der Unabhängigkeit das britische Pfund behalten möchten (wie übrigens auch die Queen). Allerdings würde es für eine gemeinsame Währung einer Abmachung beider Länder über eine koordinierte Geldpolitik bedürfen, und ob die schnöde verlassenen Engländer dazu bereit sein werden, ist durchaus offen. Mit anderen Worten: Es droht eine Situation wie in der Euro-Zone, wo Länder unter einer Geldpolitik ächzen, die sie nicht mehr in der Hand haben. Also sprach Mark Carney in Edinburgh, und man kann ihm noch nicht einmal Parteilichkeit vorwerfen. Der Mann ist nämlich Kanadier.

So geht also Unabhängigkeitsbewegung im 21. Jahrhundert. Es reicht anscheinend nicht mehr, den Mummenschanz einer geknechteten Nation mit den üblichen kosmetischen Reparaturen aufzupolieren. Der Nationalist von heute sorgt sich auch um Währungsfragen. Natürlich fragt er auch vorsorglich bei der Europäischen Union nach, wie sich die Aufnahme eines unabhängigen Schottlands gestalten würde, übrigens ebenfalls mit ernüchternder Antwort. (Es gibt keinen Automatismus, aber man würde wohl den britischen Beitragsrabatt mitbezahlen müssen.) Irgendwie war die Sache bei Braveheart noch einfacher.

Offenbar hat sich in unserem Verhältnis zum Nationalstaat doch eine gewisse Ernüchterung eingestellt. Vorbei die Zeiten, in denen ein Hegel im Staat die Verwirklichung der sittlichen Idee erblickte. Heute leben wir in der kalten Welt des globalen Kapitalismus – der amerikanische Ökonom Paul Krugman hat die US-Regierung einmal als Versicherungsunternehmen mit Armee tituliert, und der Mann ist immerhin Nobelpreisträger. In solchen Zeiten mischen sich nationale Sentimentalitäten mit dem nüchternen Blick auf den Kontostand, und vielleicht ist das ja auch gar nicht so dumm. Natürlich sehne ich mich im englischen Exil schon hin und wieder nach einem ordentlichen deutschen Vollkornbrot. Aber zugleich interessiert mich, was aus meinen Rentenbeiträgen wird.

Aber wir sollten fair bleiben. Die Schotten sind halt noch recht unerfahren in solchen Dingen. Eine schottische Nationalbewegung gibt es erst seit den siebziger Jahren, als plötzlich das Nordseeöl sprudelte und der Reichtum gen London floss, wo er – horror of horrors – in den achtziger Jahren den Thatcherismus finanziell über Wasser hielt. Vielleicht sollte man als Deutscher da mal ein paar gute Ratschläge geben. In Sachen Föderalismus kennen wir uns ja schon etwas länger aus.

Also, liebe Schotten: Euer Referendum war leider ein Anfängerfehler. Der kluge Nationalist von heute fragt besser nicht nach der Unabhängigkeit, denn am Ende kommt man womöglich in eine Situation, in der man sich wirklich um die eigenen Probleme kümmern muss. Eine ferne Regierung ist ein idealer Sündenbock, und sowas braucht der notorisch überforderte Staat von heute nun einmal. Stattdessen solltet ihr ständig rumoren und damit diese Regierung unter Druck setzen. Immer unzufrieden sein oder jedenfalls so wirken und damit herausholen, was geht. Autonomie, Sondersteuern, Privilegien. Ihr solltet die nationalistische Folklore pflegen und damit den Tourismus fördern. Ihr solltet auf eine Staatspartei setzen, die die eigene Renitenz beharrlich pflegt. Und bloß nicht auf das Echo hören. Wenn der Rest der Bevölkerung sich genervt zeigt, dann beweist das doch eigentlich nur, dass die gerne so klug, reich und glücklich wären wie ihr. So geht Separatismus im 21. Jahrhundert.

Und so komme ich am Ende meiner Überlegung zu der Einsicht, dass ich in den sieben Jahren in Bayern doch echt was gelernt habe.